Donnerstag, 25. Oktober 2007
"Opfer des Nazi-Terrors: Deutsche Juden in Australien"
Das Forschungsprojekt befasst sich mit dem Schicksal ehemaliger deutscher Juden, die den staatlich organisierten Terror des 'Dritten Reiches' am 'anderen Ende der Welt' in Australien überlebt haben. Im Zentrum stehen autobiographische Zeitzeugen-Interviews, die im Winter 1992/93, in den Sommermonaten 1994 und 1995, sowie im Winter 1996/97 und 2002/03 in Australien (Melbourne, Sydney, Adelaide, Perth und Hobart) durchgeführt wurden. Sie geben Aufschluss über Erinnerungen an jüdisches Leben in Deutschland (mit Schwerpunkt Wuppertal) vor Hitlers 'Machtergreifung', Antisemitismus und Verfolgung während der 'Nazi-Zeit', Emigration und Flucht aus Deutschland oder die Barbarei in Konzentrations- und Arbeitslagern, die ersten, meist unfreiwilligen Jahre als 'feindliche Ausländer' (enemy aliens) im fernen Australien und schließlich auch an Integration und berufliche 'Karrieren' im neuen Heimatland 'down under'. Sie geben außerdem Einblicke in heutige Einstellungen der Interviewpartner gegenüber Deutschland und den Deutschen sowie Einblicke in Probleme ihrer Identität als 'Deutsche', 'Juden' und 'Australier'.
Unter kriminologischen Gesichtspunkten befasst sich die Untersuchung vor allem mit dem bislang weitgehend vernachlässigten Konzept des 'Staats-Terrors' als Bezeichnung für systematische Gewaltanwendung zur Erhaltung eines Herrschaftssystems (im Gegensatz zum 'revolutionären Terrorismus' mit dem Ziel der Aushöhlung und Abschaffung bestehender Macht- und Herrschaftsstrukturen. Die Untersuchung versteht sich insofern auch als zentraler Beitrag zur Soziologie der 'Kriminalität der Mächtigen' oder zur Analyse 'politischer Gewaltverbrechen'; allerdings mit besonderem Augenmerk auf die verschiedenen Ausdrucksformen staatlichen Terrors: Einschüchterung, Diskriminierung, Entrechtung, Repression durch Verwaltungshandeln, Folter, Deportation und Ermordung mit Hilfe staatlicher Institutionen; bis hin zur Legalisierung und Legitimierung des Terrors durch Gesetze und Ideologien (z.B. Rassentheorien) und deren Akzeptanz in der allgemeinen Bevölkerung. Dabei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der in der Kriminologie noch weitgehend defizitären 'Opferperspektive' und damit auf der konkreten persönlichen Erfahrung der Zeitzeugen mit 'Staats-Terror', dessen subjektiver Wahrnehmung und dessen oft tief greifende und lang anhaltende zerstörerische Wirkung auf sie.
Die vorliegende Untersuchung befasst sich im Sinne 'exemplarischen Vorgehens' speziell mit ehemaligen deutschen Juden in Australien; zum einen, weil die Forschungen hierzu noch relativ rudimentär und in Deutschland praktisch kaum rezipiert wurden, zum anderen, wegen der sich mit Australien verbindenden Besonderheiten im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Dabei gliedert sich die Untersuchung in einen 'allgemeinen Teil', zu dem ehemalige Juden aus allen Teilen Deutschlands befragt werden, und einen 'besonderen Teil', der sich speziell mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern der Stadt Wuppertal befasst und der deshalb durch entsprechende Zeitzeugenbefragungen und Archivrecherchen in Wuppertal selbst ergänzt wird.
Veröffentlichungen zum Projekt:
Brusten, M.: Opfer des 'Staats-Terrors': ehemalige deutsche Juden in Australien. Skizzen zu einem noch nicht abgeschlossenen Forschungsprojekt, in: Kaiser/Jehle (Hg.),Kriminologische Opferforschung, Bd.1: Kriminalität der Mächtigen, Kriminalistik-Verlag, Heidelberg 1994, S. 187-212.
Brusten, M.: Dieser Bericht muss veröffentlicht werden! Zur Entstehung und Bedeutung der 'Lager- Erinnerungen' von H.-W. Wollenberg, in: M. Brusten (Hg.) H.-W. Wollenberg: ...und der Alptraum wurde zum Alltag, Paffenweiler 1992, S. 9-21 u. S. 189-219
Brusten, M.: Multikulturalität und persönliche Identität. Deutsche, Juden oder Australier? Erste Eindrücke aus einer noch nicht abgeschlossenen Forschung in Australien über 'Opfer des nationalsozialistischen Staats-Terrors', in: 'Newsletter 10' der Deutschen Gesellschaft für Australienstudien, Universität Wuppertal l996, (S. 32-50)
Brusten, M.: Ein Leben zwischen den Welten. Ernst-Günther Salomon: Kind preußischer Offiziersfamilie in Berlin - wegen 'jüdischer Abstammung' verfolgt im Rassenwahn der Nazis - dankbar gegenüber seiner 'neuen Heimat' Australien. - Editierte Auszüge aus einem autobiographischen Interview, in: Prießnitz, H. (Hg.) 'Newsletter 11' der Deutschen Gesellschaft für Australienstudien, Universität Wuppertal, 1997, S. 64-95
Brusten, M. : 'Mr. New Musik' in Australien, in: Being George and liking it. Reflections on the life and work of George Dreyfus on his 7oth Birthday. Allans-Publishing, Melbourne 1998, S. 69-101
Brusten, M. : Die 'zweite Heimat'. Einstellungen von Opfern des Nazi-Terrors zum heutigen Australien, in: Bader, R., Australien auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Schriftenreihe KOALAS, Stauffenburg-Verlag Tübingen 2000, S. 71-94
Brusten, M.: Unsichere Zuflucht: Politische, kulturelle und soziale Probleme jüdischer Exilanten in Australien z.Z. des 'Dritten Reiches', in: Bader, R. / Braun, B. / Wimmer, A. (Hg.), Vergangenheit und Zukunft in Australien, Schriftenreihe KOALAS, Stauffenburg-Verlag Tübingen 2002, S. 101-129